Naim Güleryüz war in Wien: Zur Geschichte der Juden in der Türkei
Diese Abendveranstaltung des Sankt Georgs-Absolventinnenvereins im Jüdischen Museum in Wien fand am Sonntag, den 8. November, statt und fand großen Anklang bei den Besuchern, unter denen sich auch die Ehrengäste Raimund Fastenbauer (Generalsekretär des Bundesverbandes der israelitischen Kultusgemeinde Österreich), Ecvet Tezcam (der neue türkische Botschafter in Wien) und Franz Kangler (Direktor des Sankt Georgs Kolleg) befanden.
von Alina Witte
Der türkische Botschafter Ecvet Tezkam eröffnete den Abend und hieß alle herzlich willkommen. Er trug kurz einen Ausschnitt aus einem Brief von Albert Einstein an den türkischen Premierminister vor, erzählte, dass er in seinem Leben zwei wichtige Dinge gelernt hatte, und zwar, stets bescheiden zu sein, und, dass die Wahrheit immer ans Licht käme, und übergab das Wort an den Vorsitzenden des Absolventinnenvereins des Sankt Georgs-Kollegs. Dies ist eine österreichische Schule in Istanbul, die versucht, die Nationen einander näher zu bringen und zu zeigen, dass die Beziehungen untereinander auch kultureller Natur sind. Der Beginn dieses Abends, so hieß es weiter, sei der Beginn eines großen Projekts, und schließlich wurde das Wort an den Vortragenden Naim Güleryüz übergeben, der anlässlich diesen schönen Abends extra aus Istanbul eingeflogen worden war.
Er berichtete, dass Istanbul, als Brücke zwischen zwei Kulturen und Kontinenten, Asien und Europa, fungiere und, dass diese traumhafte Stadt die einzige sei, in der Moscheen, Kirchen und Synagogen nebeneinander existieren. 1492, als Columbus in Amerika eintraf, befanden sich auf seinem Schiff hauptsächlich Besatzungsmitglieder aus Spanien, die jüdischen Glaubens waren. Sie mussten Spanien um Mitternacht verlassen und machten sich auf eine große und abenteuerliche Reise. Das Osmanische Reich gewährte ihnen letzten Endes Asyl. Sie trugen zum Wirtschaftsaufschwung des Landes bei und brachten neben ihrer Sprache Ladino eine reiche Kultur in ihre neue Heimat, die heutige Türkei, mit. 1992, als dieses historische Ereignis sein 500. Jubiläum feierte, wurde erkannt, dass die meisten Menschen noch immer nicht genug über die Herkunft und Abstammung der Juden wissen und es deswegen nicht genug ist, auf nationaler Ebene darüber zu berichten.
Vor allem in Amerika, wo die Hälfte der gesamten jüdischen Bevölkerung lebt, sei es wichtig, die Menschen aufzuklären und die Geschichte der Juden, vor allem der Sefarden, zu erzählen. Jedoch wollte Naim Güleryüz an diesem Abend keine Geschichtsstunde halten, aber er gab einen kurzen und prägnanten Überblick über die Jahrhunderte lange Geschichte der türkischen Juden und nahm dabei die wichtigsten Punkte heraus. Noch heute werden die Nachkommen der damaligen Flüchtlinge aus Spanien Sefarden genannt, zur Zeit umfasst die jüdische Gemeinde in der Türkei etwa 20 000 Mitglieder. Die Mehrheit von ihnen lebt in großen Städten wie Istanbul, Ankara und Izmir. 96 % von ihnen sind Sefarden, der Rest Ashkenasl.
Ursprünglich gab es vier verschiedene Gruppen von Juden: Diejenigen, die aus Babylon in den Süd-östlichen Teil der Türkei kamen, diejenigen mit romanischer Abstammung, die als Sklaven und Soldaten nach Anatolien gebracht worden waren und sich dort einlebten, und schließlich die Ashkenasi und die Sefarden. Letztere kamen erst sehr spät, im Jahre 1492, in das osmanische Reich, konnten sich aber sehr schnell und sehr gut integ-rieren, aufgrund ihres enormen Wissens aus der goldenen Zeit.
Naim Güleryüz erklärte, dass in der goldenen Zeit Juden mit Muslime und Christen in ganz Europa zusammengewirkt und erstaunliche Forschungen und Entwicklungen im Bereich der Medizin, Kunst und Technologie hervorgebracht hatten. Heutzutage sprechen alle Juden in der Türkei Türkisch, aber das war nicht immer so. Güleryüz‘ Eltern zum Beispiel sprachen nur Französisch. Auch Hebräisch und Spanisch gerieten in Vergessenheit und Türkisch wurde erst ab 1923 In den Schulen unterrichtet. Spanisch sei eine wunderschöne Sprache, so Güleryüz, sie bilde eine Brücke zwischen der Geschichte von gestern und heute und es sei wichtig, so erzählt er weiter, diese Sprache nicht gänzlich zu verlieren. Schließlich werde sie rund um den ganzen Globus gesprochen, sel es nun Spanien selbst, oder auch Portugal, Südamerika und Teile von Florida (USA).
Von den zahlreichen jüdischen Zeitungen in der Türkei ist heute nur mehr die wöchentliche Zeitschrift „Salom“, die sich mit Politik und Kultur befasst. Die sogenannten ,Social Clubs‘ der Juden in der Türkei, die es seit 1895 gibt, seien besonders wichtig, das es als Minderheit in einem Land unter anderem sehr schwer sein kann, die Kultur zu bewahren. Weiters sei es ebenso schwer, als jüdischer Mann eine jüdische Frau zum Heiraten zu finden. Aus all diesen Gründen haben sich die ‚Social Clubs‘ in den letzten 114 Jahren sehr gut bewährt.