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Das Christentum stammt aus der Türkei?

Das Christentum stammt aus der Türkei?

von Birol Kilic, 12.10.2010

Man fragt uns ÖsterreicherInnen aus der Türkei, ob wir uns mit dem Christentum auskennen. Wenn Sie gestatten, gehen wir sogar noch einen Schritt weiter und erzählen Ihnen kurz und prägnant, dass das Urchristentum und seine Verbreitung aus der Türkei stammen. Wir wollen hier nur einen Überblick über das Urchristentum in der Türkei geben.

Die Türkei als Land und Anatolien als Region sind natürlich auch Orte, die von den Österreichern stark mit dem Islam in Verbindung gebracht werden. Was aber vergessen oder übersehen wird, ist, dass Anatolien eigentlich der Ort ist, aus dem das Wort und der Begriff des Christentums stammt und wo der christliche Glaube zum ersten Mal seine universale Gestalt angenommen hat.

Nicht nur, weil die ersten zehn christlichen Konzilien in der heutigen Türkei stattfanden. Auch viele für das Christentum heilige Stätten liegen in Anatolien. Während die heutigen westlichen Nationen mit Speeren auf Hirschjagd gingen, bildete sich in Anatolien eine sesshafte Ackerbaugesellschaft, das Christentum wurde zur Hauptreligion Anatoliens und das heutige Istanbul wurde von Konstantin dem Großen nicht nur als Konstantipolis als Neues Rom (Ost-Rom, später nur noch Rom) gegründet, sondern es entwickelte sich sogar der erste offizielle christliche Staat der Welt,

DIE BEDEUTUNG DES BEGRIFFES CHRISTUS UND DIE ERSTE ANWENDUNG DAVON IN ANTIOKEIA IM SÜDEN DER TÜRKEI

Das Wort Christ stammt aus der hebräischen Sprache. Das Wort „Mashia“ bedeutet „mit Öl geschmiert, durch Öl gesegnet“. Die israelitischen Pfarrer und Könige wurden, wenn sie zum Einsatz kamen, mit Öl gesegnet. An vielen Stellen der Tora kann man über diesen Prozess lesen. Das Wort „Mashia“ war ein Titel des israelitischen Königs. Die arabische Übersetzung des Wortes hat auch dieselbe Bedeutung, nämlich mit „Öl geschmiert“. Die griechische Übersetzung dafür lautet „Khristos“, woraus das Wort „Khristianos“ abgeleitet wird. Und genau dieses Wort wird zum ersten Mal in Antiokeia (heute Antakya, liegt im Süden der Türkei) zum Ausdruck gebracht. „Khristos“ bedeutet „Folger des Messias, Freund des Messias“.

Nun, wer war der Erste, der behauptete, dass Jesus derjenige Messias war, der von den Juden erwartet wurde? Einer der Ersten, der erkannte, dass Jesus der Messias war, hieß Simon. Nach dieser Anerkennung nannte Jesus den Simon Petrus, was auf Hebräisch „Felsen“ heißt. Folglich sagt Jesus: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen, meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Und ich will dir des Himmelsreichs Schlüssel geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein“. Von diesen Sätzen von Jesus ausgehend, erklärte die katholische Kirche Jesus zum ersten Papst, und die erste Gemeinde wurde auf einem Felsen in Antiokeia erbaut.

Der Glaube, den Jesus der Messias verbreitete, fand nicht nur in Jerusalem Anklang, sondern auch unter den Diaspora Juden. In einer der Versammlungen nahm auch ein Jude namens Saulus von Tarsus teil, der später zu einem Apostel wurde, und mit seinem römischen Namen Paulus auch weltweit bekannt wurde. Die Gedanken und der Glaube von Jesus waren eigentlich nichts anderes als eine Umformulierung des Judentums. Er selber meinte ja auch nicht, dass er eine neue Religion erfunden hatte. Zur Zeit Jesu war das Christentum eher eine Sekte des Judentums, dann aber kam Paulus.

DIE GEOGRAFISCHE WELT DES PAULUS

Geboren wurde er in Tarsus, einer kleinen Stadt an der Südküste der heutigen Türkei, wahrscheinlich im Jahr 10 n. Chr. In Jerusalem absolvierte er sein Studium. Schon früh unternahm Paulus einige Missionsreisen in Kleinasien, Griechenland, Makedonien und auch auf Zypern, was nicht zuletzt zu seiner Verhaftung in Jerusalem führte. Er verbrachte einige Zeit im Gefängnis in Casarea am Meer und wurde schließlich in Rom hingerichtet. Dies ist die verkürzte Lebensgeschichte des Apostels Paulus.

DER POLITISCHE RAHMEN DES PAULUS

Das Römische Reich erstreckte sich zu Paulus‘ Zeiten von der Atlantikküste im Westen Spaniens und Nordafrikas bis hin zur Ostküste des Schwarzen Meeres, von der Nordseeküste bis zur äthiopischen Grenze im Süden. Ein riesiges Rechteck mit dem Mittelmeer im Zentrum. Rund fünf Millionen Quadratkilometer, auf denen sich heute etwa dreißig Staaten befinden.

Als das Christentum zum ersten Mal namentlich genannt wurde, glaubte man daran, dass der Messias schon geschickt und demzufolge das Judentum überwältigt wurde. Deswegen wurde die neue Religion nur als eine Religion gesehen, die unter den Juden akzeptiert werden sollte. Dieser Umstand machte es schwierig, das Christentum zu Massen zu verbreiten. Genau in diesem Punkt hat Paulus viel zur Verbreitung des Christentums beigetragen. Paulus hatte versucht, das Christentum nicht unter den Juden, sondern unter Paganen zu verbreiten, von denen er wusste, dass sie eine neue Religion einfacher akzeptieren würden. Er lehnte auch Anwendungen und Gebote wie Beschneidung, Speisegesetze und Sabbat ab und schrieb in seinen korinthischen Briefen, dass das Tragen eines Kopftuches eine Voraussetzung für das Christentum sei. In diesem Zusammenhang wurde er oft als frauenfeindlich kritisiert. Wegen seines Glaubens geriet er in einen heftigen Streit mit den Christen aus Jerusalem, dennoch war er erfolgreich bei der Verbreitung des Glaubens insbesondere in Anatolien.

VERSCHIEDENE ANSICHTEN ZU SEINER PERSON

Einige behaupten, Paulus war „modern“, andere bezeichnen ihn als originellsten Denker der frühen Kirche. Heute neigt man jedoch eher dazu, Paulus als frauenfeindlichen und unsensiblen dogmatischen Geist hinzustellen. Ihm wird nachgesagt, die reine Botschaft der Liebe Jesu zu einer repressiven Sündenlehre verbogen zu haben.

Viele Christen haben Paulus bereits ins Abseits gestellt und pflegen einen Glauben ohne beziehungsweise gegen ihn. Ein ungeliebter Apostel. Wer kennt noch die Bedeutung seiner Reden oder liest seine Briefe? Ist es jedoch nicht so, dass ohne ihn und seine geniale Gabe, die grundlegenden Wahrheiten des Christentums zu formulieren, die Christenheit eine Sekte geblieben wäre und die Botschaft Jesu nicht im Laufe von 2000 Jahren die gesamte Welt erreicht hätte? Eines ist jedoch klar: Paulus ist die bekannteste, zugleich aber auch umstrittenste Persönlichkeit des Urchristentums. Viele der Schriften im Neuen Testament haben entweder direkt oder indirekt mit ihm zu tun! Egal ob Schüler- oder Gegnerschaft des Paulus, große theologische und kirchliche Erneuerungen nahmen ihren Ausgangspunkt mit Blick auf Paulus. Martin Luther, Karl Barth oder auch John Wesley, um nur einige Beispiele zu nennen.

DIE WENDE VON PAULUS PRÄGTE DIE WENDE IM ABENDLÄNDISCHEN GEDANKENGUT

Für die Verbreitung des Christentums war Paulus auch deswegen sehr wichtig, weil er jener Apostel war, der die Lehre Jesu in einem kontextuellen Zusammenhang brachte und Leute zutiefst davon überzeugen konnte. Eine Überzeugungskraft, die er seiner griechisch-römischen Rhetorikausbildung zu verdanken hatte. Die Tadellosigkeit, die er sich selbst vorwarf, da es ihm nicht gelang gesetzeskonform zu leben, wurde später, nachdem er immer mehr Interesse an Jesus Christus und seiner Sekte bekommen hatte, zu einer Tadellosigkeit der Religion und seiner Gesetze, jener Gesetze, die Jesu kreuzigen ließen. Die Verbreitung des Christentums an die Massen erfolgte durch eine stärkere Betonung des Glaubens an den Individualismus.

Der Ursprung für die Verbreitung dieser Thesen war wiederum Anatolien, wo sich seit Anfang der Geschichte Thesen und Antithesen kreuzten und zu Synthesen verschmolzen. Man erinnert sich an das Buch von Platon „Politeia“, wo er als Mittel für den kommunalen Wohlstand das individualistische „Streben nach geglücktem Leben“ als Ideal für jeden Einzelnen formuliert.

RELIGIÖSE SCHRIFTEN UND BRIEFE, DIE IN ANATOLIEN GESCHRIEBEN WURDEN

Paulus hat seine religiösen Schriften und Briefe im Wesentlichen auf anatolischem Boden verfasst, wie z.B. den ersten Korintherbrief. Auch die Empfänger waren oftmals Gemeinden in Anatolien, wie z.B. die Epheser, denen er aus dem Gefängnis in Rom schrieb. Auch Petrus schrieb seinen ersten Pastoralbrief an die verfolgten Christen in Anatolien. Johannes, der für die Verbreitung des Christentums eine wichtige Rolle gespielt hat, ist eines natürlichen Todes gestorben. Sein Grab befindet sich in Selçuk bei Ephesos. Über der Grabstätte war zuerst eine bescheidene Kirche errichtet worden, die dann unter Kaiser Justinian durch eine prächtige Basilika ersetzt wurde.

JOHANNES UND DIE SIEBEN GEMEINDEN

Als Paulus seine Missionsreisen in Anatolien machte, blieb er jahrelang in Ephesos. Und als er dort war, gab es in Ephesus bereits eine christliche Gemeinde, die wahrscheinlich von Johannes begründet worden war.

Johannes hielt sich eigentlich in Jerusalem auf. Wo er sich jedoch zwischen den Jahren 37 und 48 aufhielt, ist bis heute nicht ganz klar. Angenommen wird, dass er mit Maria nach Ephesos ausgewandert sei, von dort im Jahre 48 nach Jerusalem gereist und im Jahre 67 wieder nach Ephesos zurückgekehrt und dort gestorben sei.

Johannes wendet sich in seiner „Geheimen Offenbarung“ an die sieben Gemeinden Anatoliens, die er symbolisch als „Sieben Engel, sieben Sterne, sieben Leuchter“ bezeichnet. Diese auch „Sieben Kirchen“ genannten Gemeinden auf westanatolisch-em Boden befanden sich in folgenden Städten:

  1. Alasehir (Philadelphia), eine Kreisstadt in der Provinz Manisa.
  2. Izmir, mit dem alten Namen Smyrna.
  3. Bergama (Pergamon), welches einst die Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs war.
  4. Akhisar (Thyateria), ebenfalls ein Städtchen bei Manisa.
  5. Laodikeia, war eine im 3. Jh. v. Chr. gegründete Stadt, sechs Kilometer nördlich vom jetzigen Denizli nahe dem Dorf Eski Hisar.
  6. Sardes nahe bei Salihli, die alte Hauptstadt des Lydischen Königreiches.
  7. Ephesos (Efes bei Selçuk), in römischer Zeit Hauptstadt der Provinz Asia.
Birol Kilic

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