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Pressefreiheit in der Türkei

Reporter ohne Grenzen listet die Türkei 2015 auf Platz 155 von 180 in ihrem Pressefreiheitsindex. Auf der Seite von RoG heißt es unter Anderem:  „Die einst pluralistische Medienlandschaft steht inzwischen fast vollständig unter Kontrolle der Regierung oder regierungsnaher Geschäftsleute. Im Internet werden journalistische Beiträge blockiert.“

Wie ist Ihre Wahrnehmung dazu.

Es gibt aktuellere Untersuchungen zur Pressefreiheit in der Türkei, grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass sich die Situation seit 2015 drastisch verschlechtert hat. 2023 ist ein wichtiges Jahr für die Türkei, die Republik feiert ihr 100-jähriges Bestehen. Dieser Umstand wird von fundamentalistischen Demokratie-& Verfassungsfeindlichen Kräften als Wendepunkt angesehen und benutzt. In den letzten Jahren hat die AKP-Regierung unter Recep Erdogan es so weit gebracht, dass freiheitliche, progressive und westlich orientierte Bewegungen zu einem großen Teil untergraben und zerstört wurden und haben diese durch eine erzkonservative, radikal-islamische Strömung ersetzt, die an die Taliban erinnert. Diese Regierung agiert nach außen hin sehr modern, in schicken Krawatten – auch in Österreich – und kooperiert hier, aber auch in anderen Ländern Europas traurigerweise mit den heimischen Regierungen, sei es ÖVP oder Parteien auf dem linken Spektrum. Sie sind Wölfe im Schafspelz und vertreten in Wahrheit fundamentalistische, antidemokratische und antifreiheitliche Werte, die das zu untergraben suchen, wofür in Europa lange und blutig gekämpft wurde.

Wie stellt sich Ihr persönlicher Arbeitsalltag dar, wenn es um Themen mit Bezügen zur Türkei geht?

Sehr negativ. Ich bin zutiefst bestürzt – als freidenkender Bürger der Demokratie Österreich mit türkischer Abstammung berührt mich das. Für die freie Meinungsäußerung haben viele Menschen in Europa ihr Leben gelassen, der Kampf war lang und schwierig. Diesen Kampf erlebt die Türkei gerade konzentriert; es sind Freiheits – und Aufklärungskämpfe für eine demokratischere Grundordnung, die noch im 21sten Jahrhundert wieder abgebaut und vernichtet wird. Die europäischen Länder sollten diesem Problem gegenüber aufmerksamer werden. Die Türkei ist de facto ein Parteistaat geworden, der mit Polizei und Militär agiert, um seine Bürger im Zaum zu halten. Wenn ich als Journalist und Verleger zusehe, wie europäische Politiker mit Mitträgern der AKP-Regierung verkehren, trifft mich das zutiefst. Trotzdem werde ich mit meinem Bleistift weiterhin Einspruch erheben und mein Kostbarstes aufs Spiel setzen. Ich appelliere an alle Österreicher, mit diesen Menschen nicht zu kooperieren und Ihre Agenda dadurch salonfähig zu machen. Was unsere demokratischen Werte betrifft, graben wir dadurch unser eigenes Grab.

Die meisten Mediengruppen agieren multisektoral und sind in weiteren Geschäftsfeldern, wie Bankwesen, Energieerzeugung, Mobilfunk und andere Branchen, aktiv. Bedeutet das in weiterer Folge, dass Medien von deren Eigentümerseite eben lediglich als ein Wirtschaftstool verstanden werden? Oder gibt es auch noch so etwas wie eine „vierte kontrollierende Macht“?

In der Türkei herrscht unter dem Vorwand „Wirtschaft“ eine Holding-isierung der Firmen durch die Regierung, besonders im Bereich Bauwesen und Energie. Ohne Ausschreibungen fließen Milliarden von Euro durch Korruption hin-& und her; diese Gelder wiederum werden auch für den Kauf von „Alten Medien“ verwendet, welche traditionell als unparteiisch und unabhängig gelten. Die Mediengleichschaltung, die natürlich nur pro-Ankara berichtet, ist in höchstem Maße gefährlich. Staatliche Banken finanzieren diesen Medienmissbrauch zusätzlich. Es gibt in großer Zahl keine echten Medien mehr, die man als „vierte Macht“ bezeichnen könnte. Der Parteienstaat mit seinen hörigen Journalisten und seinem großen Korruptionsproblem führt untereinander eine Inzestbeziehung, die die Medienlandschaft und die Meinungsbildung monopolisiert. Diejenigen freien Medien, die versuchen unter diesem Druck auf dem Markt zu überleben, werden vom Parteistaat durch Strafen zersetzt. In einer öffentlichen Diskussion schaffte es ein Teilnehmer, durch seine Mimik verhaften zu werden – „Beleidigung durch kritischen Gebrauch der Mimik“.

Im Oktober 2022 wurde ein Mediengesetz gegen Desinformation im türkischen Parlament beschlossen.

Was ist davon zu halten?

„Zensurgesetz“ nennen wir das. Dieses Zensurgesetz ist für uns nicht ein Akt gegen Desinformation bzw. fake News sondern ein weiterer Versuch die Kontrolle zu erweitern & die Informationsproduktion in der Türkei zu monopolisieren. In der Türkei werden Menschen fast aller Gesellschaftsschichten strafrechtlich verfolgt und verhaftet, nur weil diese ihre Meinung äußern. Besonders Journalisten müssen um ihre Sicherheit fürchten.

Die AKP_Regierung hat die Kapitalstruktur der Mainstreammedien verändert. Rund 90% der Mainstreammedien sind regierungsnah. Wir fordern in der Türkei Gedanken – & Pressefreiheit. Für uns ist die Gedankenfreiheit und Aufklärung essenziell, alleine schon, um der Korruption und der Unterdrückung im Lande Einhalt zu gebieten. Das neue Zensurgesetz beschränkt nicht nur Journalisten, sondern auch Menschen in den Neuen Medien, die ihre Meinung öffentlich vertreten wollen.

Welche Rolle spielen religiöse Lobbys in der aktuellen türkischen Medienwelt – in einem unter Ata Türk doch seinerzeit laizistisch geprägten Land…..

Unter religiösen Lobbies verstehen wir Vereine und „NGO’s“, die Feinde der demokratischen Bürgerrechte sind und die Gesellschaft terrorisieren. Sie sind reaktionäre Kräfte, die die AKP Regierung eigentlich ausmacht. Die Regierung selbst ist eine reaktionäre, demokratiefeindliche Sektengemeinschaft. Die Außenfassade modern, innerlich zutiefst reaktionär.

Wie ist das mit Kurdischen Medien (gibt es diese noch?) oder auch mit Medien, die der „Gülen Bewegung“ nahe standen? Sind diese Stimmen im Land vertreten?

Es gibt im türkischen Radio auch kurdische Sender. Man kann in der Schule das Wahlfach Kurdisch besuchen. Einige AKP-Minister sind Kurden, der Justizminister selbst ist kurdischer Abstammung. Der Chef des Geheimdienstes ist Kurde, der AKP-Sprecher ist kurdischer Abstammung. Vielleicht mehr als die Hälfte der AKP-Bewegung sind kurdisch-stämmig. Rassistische Verfolgung findet in diesem Hinblick nicht statt, viel mehr handelt es sich in der Türkei um einen „Gesinnungsrassismus“. Wer die AKP unterstützt, wer konservative, fundamentalistische und anti-demokratische Werte vertritt, der wird auch nicht verfolgt werden. Wer die laizistische Republik hasst, der ist willkommen. Das sage ich als überzeugter Muslime.

Welche Rolle spielen internationale Mediengruppen und deren Beteiligungen, wie bspw. Axel Springer – nehmen diese Einfluss auf die Blattlinien?

Axel Springer ist – glaube ich – keine Objektive freie Medienstimme in sich (in Deutschland), die sich in der Türkei für eine demokratische und freiheitliche Grundordnung einsetzen kann, obwohl sie natürlich auch gute Journalisten haben. Auch sie haben Interessenlobbies und sind manipulierbar.

 

Die Deutsche Welle ist unter den türkischen Medien aufgrund seiner Berichterstattung glaubwürdig – nicht kritisch, aber glaubwürdig.

 Die amerikanische Fox-Gruppe, die furchtbar bis katastrophal agiert ist in der Türkei ironischerweise eine der wichtigsten kritischen Mediengruppen. Unglaublich, aber wahr. Da muss schon ein (toter) Hund begraben sein.

 Seit dem Putschversuch 2016 sind etliche Nachrichtenagenturen in der Türkei geschlossen worden. Aus welchen Quellen holt sich die Zivilgesellschaft in der Türkei deren Informationen? Können bspw. CNN Türk oder die Deutsche Welle als unabhängige Quellen bezeichnet werden – und spielen diese bei der Meinungsbildung der Türkinnen und Türken eine Rolle?

Es gibt bestimmte kritische Medien, die nicht zur AKP gehören aber massiv unter Druck stehen, auch aus dem Ausland in türkischer Sprache. Über soziale Medien können Millionen von Menschen erreicht werden, dieser Umstand ist natürlich der Regierung auch bewusst. Die Leute, die Berichterstattung in sozialen Medien produzieren leiden auch unter dem Zensurgesetz.

CNN Türk ist keine unabhängige Quelle, sie gehört seit 2018 der regierungsnahen Demirören Holding Gruppe. Dort herrscht Gleichschaltung und Misinformation.

 

Der Fernsehkonsum in der Türkei ist mit einem extrem breiten öffentlich rechtlichen TV Angebot aber auch mit türkischen Pay TV Sendern über Satellit weit verbreitet.

Ist im öffentlich rechtlichen Rundfunk Platz für andere Meinungen als jene der AKP – wie bspw. wirkt der Kurdisch sprachige Sender?

 

Nein. Propaganda gibt es auch auf kurdisch. Es ist eine einzige Katastrophe.

Diese Medien sind auch für die Türken in Österreich und in der Diaspora weltweit prägend.

Auch die in der Diaspora lebenden Türkinnen und Türken wählen mehrheitlich Erdogan.

Das stimmt so nicht ganz. Diejenigen, die wirklich zur Wahl gehen, dh. Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft, sind eine etwas kleinere Masse, als man hier gerne annimmt, diese jedoch wählen zum Großteil tatsächlich Erdogan. Die Propaganda Erdogans ist Grenzübergreifend und die AKP rechnet mit diesen Wählern, ruft sie deshalb also bewusst auf.

(ungefähr 40.000 Menschen wählen aus dem Ausland.)

 Sie sind selbst Verleger und seit Jahren eine relevante Stimme der türkischen Community in Österreich!

Welche Rolle spielen die lokalen türkisch-sprachigen Angebote für die Meinungsbildung der türkisch sprachigen Nachbarn hier in Österreich?

 Eine sehr große Rolle. Wir geben die Neue Heimat Zeitung bewusst unter diesem Namen heraus (Yeni Vatan Gazetesi) mit österreichischer Flagge, damit wir türkischsstämmige Österreicher mit Themen der österreichischen Kultur, Geschichte, Sprache, Sport, Integration in ihrer Muttersprache informieren können und ihr Interesse und ihre Aufmerksamkeit auch auf dieses Land ziehen können. Hauptthemen sind also keine türkischen, sondern das, was sich auch in anderen österreichischen Medien finden lässt. Kritische, seriöse Beiträge und Analysen, die den Alltag in dieser, der neuen Heimat betreffen. Somit fühlen sich türkische Mitbürger hier gebunden und einbezogen. Freiheiten, die wir hier dankbar genießen, sollen schmackhaft gemacht werden und somit den faschistischen Strömungen aus dem Ausland entgegenhalten.  Wir sind dabei die einzige, ständige Berichterstattung in Österreich in türkischer (und deutscher) Sprache. Wir bewegen nicht nur unsere Zielgruppe in Österreich, sondern auch Menschen in der Türkei und türkischstämmige Bürger benachbarter Länder. Wir vertreten also ein originelles Produkt, welches aus der Türkei allerdings sehr angefeindet wird. Drohungen und Rufschädigungen aus der Türkei sind Berufsrisiko. Wir geben aber nicht auf, vielleicht unsere Briefe. Unsere Gräber sind auch schon gekauft – deshalb diese dann bitte an die Postadresse Friedhof Obere St. Veit, Gruppe E, Reihe 9, Nr. 36.

Wie stellt sich Ihr Arbeitsalltag dar? Können Sie unbehelligt in die Türkei reisen?Kein Kommentar.

Im EU-Raum gelten Social Media Plattformen als unsichere Quellen, als Ort für Verschwörungstheoretikerinnen, Querdenkerinnen und Ähnliches.

Muss man die Bedeutung von Sozialen Medien in einem Land wie der Türkei anders bewerten?

Sind Instagram, Tik Tok, Twitter,… in der Türkei ein Ort des demokratischen Diskurs, der in den etablierten Medien nicht mehr so möglich ist, wie dieser schon stattgefunden hat?

Nein, natürlich nicht, denn auch dort hat die AKP ihre Finger im Spiel. 10.000 neue Mitarbeiter wurden unlängst eingestellt, um zusammen mit Bots auf Plattformen, wie Twitter und Co. den Diskurs zu dominieren und zu manipulieren. Jede kritische Meinung soll überlagert werden mit parteigelenkten Gegenstimmen. Die Türkei ist Europas Sumpf.

Andreas Günes

Redaktion, Türkische Allgemeine

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Andreas Günes

Redaktion, Türkische Allgemeine
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