Suche
Close this search box.
Farce? :“Eine gerechtere Welt ist möglich“- Erdoğan überreicht Elon Musk in New York sein Buch

Farce? :“Eine gerechtere Welt ist möglich“- Erdoğan überreicht Elon Musk
in New York sein Buch

 

Birol Kilic, Beobachtungen und Analysen aus Wien

Bei dem Treffen im „Turkevi“ (Haus der Türkei) in New York sprach Präsident Erdoğan mit Musk über die technologischen Durchbrüche der Türkei, die Vision einer digitalen Türkei und die nationale Strategie für künstliche Intelligenz.

Erdoğan erinnerte daran, dass Tesla mit der Einführung von TOGG (Togg ist eine neue türkische Elektroautomarke) auf türkischen Straßen in den türkischen Markt eingetreten sei und lud Tesla ein, seine siebente Fabrik in der Türkei zu bauen. Kurzum: Erdogan lud Musk offiziell ein, in die Türkei zu investieren und schenkte Elon Musk sein Buch mit dem Titel „Eine gerechtere Welt ist möglich“.


Aber wenn heute Millionen Menschen in der Türkei, also in seinem eigenen Land, nach Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, nach Freiheit, nach Null „Politiker-Bürokratie-Sekten-Medien-Mafia-Staat“ rufen, sollte uns deshalb Erdoğans Geschenk seines Buches mit dem Titel „Eine gerechtere Welt ist möglich“ an Elon Musk mehr als beunruhigen.

Warum?

Weil es scheinheilig und heuchlerisch ist.

Es schmerzt sehr, wenn man sieht, liest und hört, wie unglücklich die Menschen in der Türkei über die Ungerechtigkeiten in allen Bereichen sind. Und dieser Schmerz ist seit Jahren unerträglich geworden. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr und die Welt schaut zu. Auch die EU.

Die EU und Erdogan

Auch die EU-PolitikerInnen und Parteien und insbesondere die österreichischen PolitikerInnen und Medien haben hier leider Fehler gemacht, obwohl wir immer wieder davor gewarnt haben.

Mit der „pauschalen Türkeihetze“ unter dem Vorwand der „AKP-Erdogan“-Kritik oder der „Türkei ist groß für die EU“-Kritik gegen den EU-Beitrittsprozess im eigenen Land, haben die PolitikerInnen bzw. Parteien für politisches Kleingeld und Wählerstimmen, jahrelange Öffentlichkeitsarbeit im eigenen Land geführt.

Ohne die Spreu vom Weizen zu trennen, wurden dadurch in den letzten zwanzig Jahren pauschale Hassgefühle, Respektlosigkeit und Vorurteile gegen „Türkischstämmige in Österreich“ und gegen die Türkei geschürt, was sich jetzt und in Zukunft als großer Fehler erweisen wird.

Erdogan: “ Ich will eine religiöse und rachsüchtige Jugend“

Einer der Schritte der AKP zur Religionisierung bzw. sunnitisierung der Gesellschaft war die Schaffung einer „religiösen und rachsüchtigen“ Jugend, wie es Erdoğan im Jahre 2012  selbst formulierte: „Ich will eine Jugend, die für die Sache ihrer Religion kämpft. Ich will eine religiöse und rachsüchtige Jugend“.

Und die EU, EU-PolitikerInnen haben genau diese Menschen, Gruppen und die ganze Türkei unter dem Vorwand der Kritik allein gelassen und indirekt TürkenInnen in der Türkei und in Ihrem Land pauschal satanisiert. Wie sagt man so schön: „Mit einem Stein trifft man zwei Vögel.“ Erdogan hat dies ermöglicht und die EU PolitikerInnen haben das sehr gerne gekauft und sogar damit in Ihrem eigenen Land Wahlen gewonnen bzw. Stimmen erhöht, ohne Ihre Geschichte auch nur einmal in Erinnerung zu rufen.

Schaffung eines importierten Menschentyps durch
„Ich will eine religiöse und rachsüchtige Jugend“.

Unter dem Vorwand des Konservatismus und Nationalismus versucht die autoritäre reaktionäre Regierung in Ankara seit Jahren unter dem Motto und Willen Ich will eine religiöse und rachsüchtige Jugend“ einen Menschentypus nach Österreich bzw. in die EU zu importieren, der mit der modernen Atatürk-Türkei bzw. der modernen Republik Österreich, der westlichen Wertgemeinschaft – und als überzeugter säkularer Muslim füge ich hinzu: „mit dem wertvollen Islam“ – nichts zu tun hat. Es ist politisierter Glaube aus der „Theologie der Gewalt“, die ihre Wurzeln seit 4000 Jahren im Nahen Osten hat und sich nun als Islam verkauft.

All diese unten aufgeführten indoktrinierenden Gedanken, Einstellungen und Aussagen verbreitet die Regierung in Ankara über gekaufte und gleichgeschaltete türkische Medien bzw. soziale Medien mittels Deep Fake in der Türkei und in der EU:

– Verzerrte türkische Geschichtserzählungen, die über Filmreihen auf Dutzenden von Fernsehkanälen verbreitet werden. Diese Filmreihen zeigen übertriebene Heldengeschichten, die auf dem Klischee “wir (gut) und ihr (böse)” basieren, bis hin zu den Aktivitäten reaktionärer Sekten.

– Zeitschriften und tendenziöse Frauensendungen sowie religiös-radikale Talkshows, Lehrpläne, Nachrichtensendungen, Plakate, Werbung und Musik.

– Der Versuch, in der Türkei und im Ausland einen neuen Menschentypus zu schaffen, der nicht nur in Wien, sondern auch in Istanbul sehr fremd ist.

– Die Regierung in Ankara hat in den letzten 20 Jahren einen massiven kulturellen Wandel – auch in Österreich – herbeigeführt, der bereits sehr viele Menschen erfasst hat. Ungerechtigkeit, Diebstahl, Korruption, Bestechung, Dreistigkeit, Unverschämtheit, Grausamkeit und Verleumdung werden als ganz normale Eigenschaften manifestiert, als wären sie Voraussetzungen für ein besseres Leben oder „die fünf Säulen des Islam.“ Das ist ein großer Betrug im Namen Gottes.

Bitte nicht pauschalisieren

Die Menschen lassen sich von dieser Erdogan-Propaganda stark manipulieren. Aber nicht alle! Bitte nicht pauschalisieren.

Wir sehen diesen neu geschaffenen Menschentyp Erdogan’scher Prägung in Wien und in ganz Europa, und das, obwohl diese Menschen schon lange hier leben und aufgewachsen sind. Wir können diese Menschen nicht einfach pauschal als “die TürkInnen” abstempeln. Und schon gar nicht von Soft- oder Hardcore-PolitikaktivistInnen, die sich in der Öffentlichkeit als unabhängige “ExpertInnen“ oder als Integrations-, IslamwissenschaftlerInnen oder SoziologInnen präsentieren.

Apropos! Österreich darf sich nicht von solchen religiös-politischen Vereinigungen und Parteiablegern an der Nase herumführen lassen, die einen ungesunden Verfassungsfeindlichkeit, Nationalismus und Fundamentalismus aus dem Ausland hierher importieren!

Während Millionen von Menschen in seinem eigenen Land, der Türkei, nach Gerechtigkeit, Recht, Freiheit, Brot und Menschenrechten streben, ist es da nicht bewegend zu sehen, dass Erdoğan in New York Elon Musk, dem Mann mit dem größten Vermögen der Welt, sein Buch „Eine gerechtere Welt ist möglich“ vorstellt?

Erdoğan, der Vorsitzende der AK-Partei und Präsident der Republik Türkei, will die Welt eigentlich gerechter und fairer machen. Jedoch hat er vielmehr das, was seit der Gründung der modernen säkularen Republik Türkei 1923 durch Atatürk bestand, de facto in eine reaktionäre Ein-Mann-Monarchie-Republik verwandelt, in der fundamentalistische Sekten und die Mafia das Recht in allen Bereichen außer Kraft gesetzt haben.

Ist das Erdogans Zeugnis?

Will Erdogan mit seinem Buch dieses Modell in die Welt exportieren?

Aufgrund der Zerstörung der Justiz im eigenen Land unter der Herrschaft Erdogans in Ankara sagen InvestorInnen aus aller Welt, dass es in der Türkei keine Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit gibt, in die man investieren kann. Es ist eine bekannte Tatsache, dass es in Ländern, in denen es keine Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit, Menschenrechte, Vielfalt, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit gibt, ernsthaften und langfristigen Investitionen ausbleiben.

Twitter (X)-Erdogan und Musk über Freiheit

Wie schnell kann man vergessen. Den Online-Dienst Twitter (heute X) von Elon Musk verschmähte Erdogan allerdings bislang. „Ich habe nichts mit Twitter zu tun”, bekannte er im Februar 2014. Im August bezeichnete er Twitter gar als „Messer in der Hand eines Mörders” und betonte: „Ich mag es nicht, zu twittern.” Seine Ablehnung dürfte sich auch aus den Massenprotesten gegen seine Regierung Mitte 2013 speisen, die auch über Netzwerke wie Twitter und Facebook vorangetrieben wurden. Nach der Verbreitung von Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Erdogan wurden im Frühjahr 2014 die Zugänge zu den Internetplattformen Twitter und YouTube in der Türkei vorübergehend gesperrt. Das türkische Verfassungsgericht, das nicht zu 100 Prozent unter der Kontrolle Erdogans stand, hob die Sperren damals wieder auf. Nun, im Jahr 2023, nutzt auch Erdogan die Internet- und Nachrichtenplattform X.

Justiz in der Türkei ?

Ein Beispiel für das Verständnis der Ein-Mann-Regierung Erdogans in Ankara und der politisierten Justiz in der Türkei.

Während seiner Reise nach New York besuchte Erdogan den seriösen US-Sender PBS, um offene Fragen zu beantworten. Da es in der Türkei keine JournalistInnen mehr gibt, die Fragen zu den Verhaftungen von UnternehmerInnen, MenschenrechtsaktivistInnen, PolitikerInnen und anderen JournalistenInnen stellen können, verlor er bei einem Interview mit dem US-Sender PBS das Gleichgewicht, wurde wütend und schimpfte auf den Moderator, der ihn erneut unterbrach.

Vor allem als die Namen der Journalistin Sedef Kabas, des Menschenrechtsaktivisten und Unternehmers Osman Kavala und des Politikers Selahattin Demirtas genannt wurden, wurde Erdogan wütend.

Weil die Journalistin Sedef Kabas auf Twitter ein tscherkessisches Sprichwort zitierte, das sich auf Recep Tayyip Erdoğan beziehen ließe, wurde Kabaş im Januar 2022 in Istanbul festgenommen und der Präsidentenbeleidigung beschuldigt. Das Sprichwort lautete: „Geht ein Ochse in einen Palast, wird er nicht zum König, sondern der Palast zum Stall.“[5]

Die PBS-Journalistin Amna Nawaz fragte Erdogan angesichts der „hochrangigen Verhaftungen“ in der Türkei: „Versuchen Sie, diese Leute zum Schweigen zu bringen? Sehen Sie eine Bedrohung durch diese Leute?“

„Warum sind Sie so besorgt? Die Türkei ist ein Rechtsstaat. In einem Rechtsstaat trifft die Justiz solche Entscheidungen. Wenn die Justiz so entschieden hat, dann sollten wir diese Entscheidung der Justiz respektieren. Ich kann nicht im Namen der Justiz sprechen. Die Person (Osman Kavala), die Sie erwähnt haben, war der Finanzier der Proteste (Gezi-Proteste)„.

Im weiteren Verlauf seiner Rede sagte Erdoğan: „Ich werde mich nicht mit ihnen befassen“ und betonte erneut, dass die Entscheidungen von der Justiz getroffen werden.

Als er erklärte, dass Selahattin Demirtaş ein Terrorist sei und den Tod von mehr als 200 Menschen verursacht habe, sagte Erdoğan: „Sie haben kein Recht, sich in die Angelegenheiten der Türkei einzumischen. Sie werden die Entscheidung der Justiz respektieren. Ist die amerikanische Justiz keine Justiz und die türkische Justiz keine Justiz? Sie müssen die Entscheidung der türkischen Justiz respektieren.“

Und nun zu der lauten Frage

Welches seriöses Unternehmen investiert in ein Land, das unter einer autoritären Ein-Mann-Regierung im Sumpf versinkt, in dem es keine Gerechtigkeit und keine unabhängige Justiz gibt, in dem die Gewaltenteilung de facto nicht mehr existiert?

Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit bescheinigt die EU-Kommission der Türkei in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht eine negative Entwicklung. Die Gewaltenteilung sei praktisch aufgehoben, die Justiz der Exekutive untergeordnet. Selbst das Verfassungsgericht soll ausgehebelt werden.

Traurig

Zwischen den reaktionären feudalen Zeltstaaten des Nahen Ostens, dem italienischen Sizilien und den Drogenbaronen Südamerikas sei die Türkei de facto zu einem Mafia-Staat geworden, heißt es. Das Land habe sich in einen rechtsfreien Raum verwandelt.

Die Grenzen seien verschwunden und die illegale Migration von über 13 Millionen Menschen habe das Land de facto in eine dunkle Wolke gehüllt, während es selbst in Armut versinkt.

Die BürgerInnen der Republik Türkei fühlen sich nicht mehr sicher auf den Straßen. Erdogan will die Landessprache ins Arabische ändern, da er das Land in den Bankrott getrieben hat und nun Geld von den reichen arabischen Staaten aus den VAE, Katar und Saudi-Arabien erwarte. Man hat die Türkei ins Chaos gestürzt, nur um die modernen, westlichen, säkularen Menschen, ob gläubig oder nicht, aus dem Land zu vertreiben und sie durch Mord oder Verhaftung zu unterdrücken und ihr Vermögen unter dem Vorwand, du bist ein Terrorist, zu beschlagnahmen.

Die PolitikerInnen der reaktionären AKP, der Grauen Wölfe, der MHP mit der sunnitisch-kurdisch-fundamentalistischen Hüdapar und der Yeni Refah Partei haben die türkische Republik im hunderten Jahr ihrer Gründung in einen reaktionären Unrechtsstaat verwandelt. Das ist leider der Stand der Dinge.

Wir brauchen weder HeuchlerInnen, die den Namen Atatürks missbrauchen, noch unseren Glauben oder den Islam missbrauchen. Wir wollen eine freiheitlich-demokratische, im inneren gerechte, säkulare Türkische Republik mit dem Slogan: „Frieden zu Hause. Frieden in der Welt.“ Nicht mehr und nicht weniger.

Erst dann kann Erdogans These mit dem Buchtitel „Eine gerechtere Welt ist möglich“ glaubwürdig werden. Sonst ist sie, mit Verlaub, eine Farce.

 

Birol Kilic

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner