Das Österreichbild in der Türkei
Der Artikel „Das Österreichbild in der Türkei” wurde im Jahre 1998 von Birol Kilic für das Bundeskanzleramt und den österreichischen Bundeskanzleramt-Bundespressedienst Austria Feature Service verfasst und über die österreichischen Botschaften in der Welt, in deutscher und englischer Sprache, in tausenden Exemplaren kostenlos verteilt.
Die „Türkische Allgemeine” veröffentlicht im Jahr 1998 ( vor 26 Jahren) erschienene Artikel mit dem Titel „Das Österreichbild in der Türkei” von Birol Kilic erneut. Dies erfolgt vor dem Hintergrund einer signifikanten Veränderung der Umstände, welche sich auch in den Bildern widerspiegelt.
von Birol Kilic, Wien, 02.03.1998
„Eine Tasse Kaffee gewinnt das Herz für vierzig Jahre“ ( Bir fincan kahvenin kırk yıl hatırı vardır), sagt ein türkisches Sprichwort. Menschen zu verstehen beginnt mit gutem Zuhören, und wo kann man besser reden als bei einer dampfenden Tasse Kaffee. Wer mich zu einer Tasse Kaffee einlädt, nimmt sich Zeit für mich.
Das ist die Besonderheit des guten österreichischen Kaffeehauses, das mit einem Glas Kultur genau aus der Türkei kommt.
In der Innenstadt von Istanbul findet sich ein detailgetreu nachgebautes Wiener Kaffeehaus mit echtem Wiener Kaffee und frischen Wiener Mehlspeisen. Zum Milchkaffee sagen die trendbewussten jungen Türken bereits allgemein „Melange“. Der Wiener Kaffee ist in sein Ursprungsland zurückgekehrt. Die Türken empfinden die Österreichische Mentalität als nahestehend. Fleiß, Ehrlichkeit und Höflichkeit sind gemeinsame Tugenden und besonders letzteres hebt die Österreicher in den Augen der Türken wohltuend von den „trockeneren“ Deutschen ab. Österreicher werden als geduldig, flexibel und sensibel charakterisiert, als traditions- und kulturbewusst.
Deutsch ist die zweite erlernte Fremdsprache nach Englisch und ermöglicht den Gebildeteren daher eine problemlose Kommunikation mit Österreichern. Trotz der gemeinsamen Sprache wird Österreich nie mit Deutschland verwechselt, sondern besitzt im Bewusstsein der Türken eine ganz eigenständige Identität. Es ist chic, in Österreich den Urlaub zu verbringen, einen Wientrip zu unternehmen oder Ski zu fahren und – wer es sich leisten kann – sein Kind in Österreich studieren zu lassen. Die typIschen Klischees haben auch vor den Türken nicht halt gemacht.
Das Österreichbild ist im Wesentlichen geprägt von den kulturellen und touristischen Leistungen Österreichs und hier besonders der Hauptstadt. Legt man Türken ein Photo eines Wiener Kaffeehauses vor, ordnen fast 60% das Sujet Österreich zu. 90% verbinden eine Ballnacht mit Österreich und im Frühjahr veranstaltet das Istanbuler Swiss-Hotel jährlich einen türkischen Opernball. Etwa 85% denken bei der Aussage „Berühmt für seine Kultur“ an Österreich. 80% erkennen sogar die Skyline des Kunsthistorischen Museums in Wien. Die Musik von Mozart und Strauß ist in der Türkei sehr bekannt und kann als der wichtigste Botschafter bis in alle Winkel des Landes angesehen werden. Auch die Sisi – Thematik im türkischen TV sorgt für emotionale Parteiname und Identifikationen. Auf die Tradition von Hof und Adel wird auch die in der Türkei nicht gekannte Bedeutsamkeit von Titeln und Akademischen Graden zurückgeführt. Die daraus resultierende Höflichkeit und die verfeinerten Umgangsformen stehen den Türken sehr nahe.
Der freundschaftliche Kontakt kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Das Osmanische Reich und Österreich-Ungarn haben viel gemeinsam. Beide sind ein Vielvölkerstaat und halten intensive Beziehungen. Beide verlieren nach dem Ersten Weltkrieg ihre Größe und ihren Einfluß und suchen nach einer neuen nationalen Identität. Ende des 18. Jahrhunderts finden sich prominente Kooperationen, besonders auf dem Gebiet der Medizin und der Architektur. So entsteht 1839 in Istanbul die erste medizinische Hochschule nach dem Vorbild des Wiener Josephinismus auf Initiative österreichischer Ärzte. Jetzt wird auch der erste türkische Arzneikodex durch den Wiener Arzt Dr. Bernard herausgegeben. Seit 1830 besteht das österreichische Krankenhaus St. Georg in Istanbul. Ursprünglich für die christliche Kolonie konzipiert, erfüllt es heute durch die Betreuung und Behandlung von Armen und Bedürftigen einen wichtigen und verantwortungsvollen Bereich sozialer Arbeit.
1864 wird der Rote Halbmond von dem Wiener Arzt Dr. Karl Hammerschmiedt unter seinem neuen Namen Abduliah Bey gegründet. Derselbe ruft in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts auch das erste Naturhistorische Museum in Istanbul ins Leben. Dazu leistet das Naturhistorische Museum in Wien mit zahlreichen Objekten einen großen Beitrag. Im selben Jahrhundert beginnen österreichische Archäologen unter Leitung von Otto Berndorf mit den wissenschaftlichen Untersuchungen in Ephesos, die mit kriegsbedingten Unterbrechungen bis heute andauern. Die Resultate dieser Forschungen, Ausgrabungen und Restaurierungsarbeiten haben aus dem historischen Ephesos einen hervorragenden Studienort archäologischer Wissenschaft gemacht und den Fremdenverkehr bereichert. Auch die architektonisch gelungene Überdachung der Ausgrabungsstelle wurde von Österreichern entworfen. Im Jahre 1915 wird übrigens am Palandöken bei Erzurum der erste Schikurs für das Osmanische Heer von Österreichischen Unteroffizieren durchgeführt.
Ob Zufall oder nicht – Palandöken ist heute das wichtigste Schigebiet in der östlichen Türkei. Ebenfalls in das Ende des vorigen Jahrhunderts fällt die Gründung der österreichischen Schule St. Georg in Istanbul im Jahre 1882, die ursprünglich Kinder österreichischer und deutscher Kolonien unterrichtet hatte. Seit dem Ende des 1. Weltkrieges wird sie vor allem von türkischen Kindern besucht. Heute ist das St. Georgs-Kolleg eine der gefragtesten und beliebtesten Auslandsschulen in der Türkei. Während des 1. Weltkrieges, 1916, entsteht das erste Atatürk-Portrait von Wilhelm Krausz. Die Deutschmeister konzentrierten zwei Sommer hindurch im berühmten Pera-Palast. Mit der Universitätsreform 1933 und wegen der politischen und rassistischen Vertreibungen kommen eine Reihe von hervorragenden Wissenschaftlern und Künstlern in die Türkei.
Bekannt ist vor allem der Architekt Clemens Holzmeister, der durch seine Bauten in Ankara (Parlament, Staatspräsidentenpalast, Regierungsviertel, österreichische Botschaft) und durch seine Lehrtätigkeit an der TU-Istanbul bis 1951 zu Weltruhm gelangte. Eine Reihe hervorstechender türkischer Architekten entstammen seiner Schule. In den 60er Jahren lehrt der berühmte Vertreter der Wiener Schule des phantastischen Realismus, Anton Lehmden, an der Akademie für angewandte Kunst in Istanbul. 1963 wird das österreichische Kulturinstitut in Istanbul gegründet, womit der hohe Stellenwert der österreichischen Außenkulturpolitik gegenüber der Türkei zum Ausdruck gebracht wurde. Dieses Institut bietet von Musik über Ausstellungen bis zur Wissenschaft ein reichhaltiges Programm.
Allein 1995 wurden 108 Veranstaltungen an 63 Orten rund 160.000 Besuchern nahegebracht. Mit der Umwandlung der türkischen Wirtschaft in eine Marktwirtschaft in den 80er Jahren wird die Türkei für österreichische Unternehmen zunehmend interessant. Es entwickeln sich bis heute andauernde Geschäftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern. Obwohl diese Beziehungen sich im Laufe der Zeit verbessert haben, sind die Möglichkeiten noch immer nicht ausgeschöpft. In den letzten Jahren aber zeigt sich eine starke Tendenz, das Potential zu erkennen und Marktchancen wahrzunehmen. Die größten Investoren in der Türkei stammen aus der EU und hier spielt besonders Deutschland mit 200 Investitionsbewilligungen eine große Rolle. Das Gesamtvolumen an Investitionen Deutschlands lag 1995 bei 392 Mio. US$.
Daneben nehmen sich das in der Türkei gebundene österreichische Kapital mit 85 Mio. US$ und elf Investitionsbewilligungen eher bescheiden aus. Eine österreichische Firma hat jedoch die größte ausländische Einzelinvestition in der Türkei verwirklicht. Mit der Beteiligung am Birecik-Wasserkraftwerk haben die Verbundplan und Strabag AG ein Beispiel gesetzt. Die Austrian Energy hat zwei neue Kraftwerkseinheiten in Cayirhan 120 km westlich von Ankara in Betrieb genommen. In den letzten Jahren zeigt sich eine neue Tendenz in der türkischen Unternehmensführung. Bedingt durch bessere Ausbildung und durch Studienaufenthalte im Ausland, hat eine neue Managergeneration gelernt, dass kommunikatives Miteinander bessere Erfolge erzielt, als der autoritäre Führungsstil der älteren Generation. Diese jüngeren türkischen Manager sind hoch motiviert und streben nach Geschäftserfolgen. Sie können besser mit westlichen Geschäftspartnern kommunizieren, sind mutiger, toleranter und entscheidungsfreudiger. Dies hat zu einer größeren Stabilität der türkischen Wirtschaft geführt.
Die Türkei bietet nicht nur einen großen Absatzmarkt, sondern stellt durch ihre geographische und strategische Lage als Brücke zwischen Europa und Asien einen wichtigen Partner dar, durch den sich für österreichische Unternehmen gute Geschäftsmöglichkeiten ergeben. Besonders infolge der Auflösung der Sowjetunion und der Bildung der neuen Republiken, spielt die Türkei durch ihre geographische Nähe zu diesen Märkten und durch ihre engen Geschäftsbeziehungen mit den zentral asiatischen Ländern, eine wichtige Rolle, sowohl auf der politischen als auch auf der wirtschaftlichen Ebene in der Region.
Österreich wird in der Türkel als fortschrittliches EU-Land mit neutraler, stabiler Politik gesehen. Österreicher werden als tolerant und demokratisch empfunden und gelten als vertrauenswürdige Geschäftspartner. Die österreichischen Touristen in der Türkei gelten als freundliche und angenehme Gäste.
Aber auch umgekehrt kommen Türken gerne nach Österreich für einen Kulturtrip oder einen Skiurlaub. Etwa 40% der Türken verbinden mit dem Wort – Winterurlaub“ eine Assoziation zu Österreich und 60% ordnen Österreich den Stichworten „Gutes Essen und Restaurants“ zu. Aber auch die Gastfreundschaft der Österreicher wird besonders geschätzt. 70% der türkischen Hochpreistouristen empfinden Österreich als „Gastfreundlich gegenüber Ausländern“.
Jeder Urlaub geht einmal zu Ende und was bleibt sind Erinnerungen an schöne Tage. Doch jetzt haben Istanbuler die Möglichkeit , ihre Erinnerungen frisch zu halten. Sie gehen in ihr neues Altwiener Kaffeehaus und bestellen eine Wiener Melange zu frischen österreichischen Mehlspeisen. Bir fincan kah-venin kirk yil hatiri vardir – eine Tasse Kaffee gewinnt das Herz für vierzig Jahre.
von Birol Kilic, 1998, Istanbul/Wien