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Austellung der Brückenbauer. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft? „Türken in Wien“ im Judischen Museum

Wien. Am 12. Mai 2010 wurde im jüdischen Museum in Wien die Ausstellung „Türken in Wien- Geschichte einer jüdischen Gemeinde“ eröffnet. Zahlreiche Gäste erschienen zu der fröhlichen und historisch eindrucksvollen Veranstaltung, bei der auch eine Musikgruppe mit passender musikalischer Untermalung für gute Stimmung sorgte. Bereits vor 20 Jahren gab es im Rahmen der Museumseröffnung bereits eine vergleichbare Ausstellung zu diesem Thema, wenn auch zunächst nur provisorisch. Im Laufe der Zeit wuchs die antike Sammlung zu einer beachtlichen Größe mit Leihgaben aus der ganzen Welt. Dank der neuen Ausstellung öffnen sich die Türen des Museums erneut um die Geschichte einer teils unbekannten Gemeinde in Wien, nämlich jene der sefardischen Türken, zu erzählen.

“Die wichtigsten Zeugnisse der sefardischer Lebenswelten in Wien wurden durch das NS-Regime im Zuge der Ermordung und Vertreibung der Mitglieder der sefardischen Gemeinde Wiens vernichtet. In der Nacht des Novemberpogroms 1938 stand der große Türkische Tempel in Flammen und wurde samt dem Gemeindearchiv vollständig zerstört. Damit ging ein wesentlicher Teil jüdischen Lebens in Wien mit einem Schlag zu Ende”, sagte Direktor Karl Albrecht-Weinberger in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung “Die Türken in Wien. Geschichte einer Jüdischen Gemeinde”, bei der zahlreiche Vertreter des diplomatischen Korps – allen voran der Botschafter des Staates Israel, Aviv Shir-On – anwesend waren. Er dankte auch der Vertreterin der Botschaft der Republik Türkei. Weiterer Dank ging an Birol Kilic, Obmann der Türkischen Kulturgemeinde in Österreich für die großzügigeUnterstützung des Ausstellungsprojekts. Weinberger verwies auf eine der ersten Ausstellungen des Museums, die sich kurz nach der Gründung des Museums ebenfalls mit dem Thema auseinandersetzte und erinnerte an den Aufbau des Museums in den letzten zwei Jahrzehnten. Die damalige Kuratorin Felicitas Heimann-Jelinek, heute Chefkuratorin des Museums und Leiterin des Arbeitsteams der Ausstellung, erläuterte die vielfältigen Zusammenhänge der sefardischen Diaspora in Europa und unterstrich die historische Bedeutung der Entwicklung der sefardischen Gemeinden im europäischen Gesamtzusammenhang.

Das Jahr 1492 war ein Schicksalsjahr in Spanien, als 800 Jahre arabisch-moslemischer Herrschaft durch die endgültige Reconquista beendet wurde, die Juden des Landes verwiesen wurden und  Christoph Columbus sich auf eine Reise machte, die zur Entdeckung der neuen Welt führte.  Die Ausstellung „Die Türken in Wien“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen eines dieser drei wesentlichen historischen Ereignisse, die das Ende des europäischen Mittelalters markieren, nämlich mit der Vertreibung der Juden aus Spanien, die in Nordafrika, in einigen italienischen Städten, vor allem aber im Osmanischen Reich Asyl fanden. Zunächst nach Portugal Geflüchtete verließen die Iberische Halbinsel später in Richtung Holland und Norddeutschland. Mit den osmanischen Eroberungen konnten die Juden spanischer Deszendenz, die sogenannten Sefarden, kulturell und wirtschaftlich wichtige Gemeinden auf dem Balkan gründen. Bereits zur Zeit des Ghettos im Unteren Werd gab es Beziehungen zwischen den wiener und den sefardischen, also den türkischen Juden. Doch erst mit den Friedensverträgen zwischen dem Habsburger und dem Osmanischen Reich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts genossen die türkischen Juden Freizügigkeit im Habsburger Reich. Nach der Gründung der türkisch-jüdischen Gemeinde in Wien wurde ihr per Patent die Freiheit gottesdienstlicher Religionsausübung zugesichert. Sie hatte ihr Bethaus von Anfang an im zweiten Wiener Gemeindebezirk.

1887 wurde schließlich der eindrucksvolle sefardisch-türkische Tempel im maurischen Stil in der Zirkusgasse eingeweiht, in dessen Vorraum man mit den Porträts des Habsburger und des Osmanischen Regenten beiden Majestäten und Ländern die loyale Referenz erwies. Im November 1938 wurde dieses Juwel Wiener Sakralarchitektur so wie fast alle anderen Synagogen und jüdischen Bethäuser der Stadt zerstört, die Träger dieser Gemeinde in der Folge zu einem großen Teil in den Tod deportiert.

Der Grund, warum gerade jetzt wieder eine Ausstellung zu diesem Thema eröffnet erklärt die Chefkuratorin des jüdischen Museums sei der, dass Istanbul zu dieser Zeit mitunter zu einer der europäischen Kulturhauptstädte zählt. Dies ist ein großes Signal für Europa und die Türkei. Das Thema Migration ist keine Erfindung des 20. oder 21. Jahrhunderts, denn darüber gab es schon immer gesellschaftspolitische Überlegungen. Es gibt immer zwei Seiten von Menschen, die von Migration profitieren können. Zunächst profitieren jene, die in ein neues Land kommen, um sich dort ein Leben aufzubauen. In weiterer Folge profitieren jene davon, die bereits in diesem Land wohnhaft sind. Sie erkennen den Mehrwert von Migration und genau dies sei auch der Hintergrund für die Themenwahl der Ausstellung. Zu sehen gibt es zum Beispiel Friedensverträge zwischen den Habsburgern und dem osmanischen Reich, zwei Giganten die voneinander profitierten. Es kam zu einem Handels- und kulturellem Austausch und somit zu einem wirtschaftlichen Aufschwung.

Im 18. Jahrhundert lebten rund 20 sefardische Juden in Wien. Sie führten bereits Handelsbeziehung sowohl im Inland, als auch im Ausland in der Türkei. Gehandelt wurde mit Baumwolle, Schwarzwurzeln, Kupfer, Zucker, Kaffee, Zwiebeln und „türkischem Zeugs“, wie Tabak und Pfeifen.

Durch den großen Erfolg des Handels wurden aus den 20 Gemeindemitgliedern schnell über 200 sefardische Juden in Wien und die Gemeinde wuchs und wuchs. Sie kamen aus Konstantinopel, Mazedonien, Bukarest und zahlreichen weiteren Destinationen.

Die sefardischen Juden Wiens waren in vielfacher Weise Vermittler zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident, zwischen Asien und Europa. Diese Mittlerrolle spielten sie einerseits als Händler und Kaufleute, die Wolle und Baumwolle, Seide und Tabak, Zucker und Gewürze  in den Westen importierten. Auch ihre Rolle als aktive Exponenten der österreichischen Post in Konstantinopel und der Levante, des österreichischen Lloyd und des Orient Express, wird in der Ausstellung „Die Türken in Wien“ beleuchtet.  Diese Vermittlerrolle spielten die sefardischen Türken aber auch auf kulturellem Gebiet. Sie richteten in Konstantinopel die erste Druckerei überhaupt ein und in Wien eine sefardische Presse. Wesentliche Impulse zur Weiterentwicklung der rabbinischen Tradition gingen von sefardischen Juden aus. Die reiche, mittelalterliche spanisch-jüdische Poesie wurde weiter tradiert und übersetzt und es waren die Sefarden, die die Entwicklung der jüdischen Mystik vorantrieben.  Sie waren es vor allem, die die arabische Philosophie und Medizin  für die westliche Welt erfahrbar machte.

Die Ausstellung „Türken in Wien“ zeigt die aufblühende Entwicklung der sefardischen Gemeinde und präsentiert interessante Fotodokumentationen. Aufgrund dieser historischen Fotos konnten zahlreiche Dinge aus dem türkischen Tempel in der Zirkusgasse identifiziert werden. Zahlreiche Mäntel, wo die gegenseitige Beeinflussung der Kulturen deutlich zu sehen ist und andere Textilien, wie Teppiche und Wandbehänge können in der Ausstellung bewundert werden.

Die Geschichte der türkisch-sefardischen Gemeinde.

Die Gründung der türkisch-sefardischen Gemeinde im Jahr 1735 soll auf den sagenumwobenen Diego de Aguilar zurückgehen. Er wurde von Karl VI. nach Wien berufen, um das österreichische Tabakgefälle zu reorganisieren. Die schriftlichen Niederschläge, die sein Aufenthalt in bürokratischen Kommentaren fanden, weisen deutlich auf die ambivalente Haltung der habsburgischen Administration Juden gegenüber hin: im Allgemeinen war man ablehnend, wenn man wirtschaftlichen Nutzen erwarten konnte jedoch im Einzelnen tolerant. 1778 trat eine verbindliche Regulation für die türkisch-israelitische Gemeinde in Kraft. Im Vordergrund des behördlichen Interesses standen auch hier Finanzgebarung und Finanzkraft der Gemeinde.

       

„Die Türken in Wien“ Geschichte einer Jüdischen Gemeinde

Das Jahr 1492 war ein Schicksalsjahr in Spanien, als die 800-jährige arabisch-moslemische Herrschaft durch die endgültige Reconquista beendet wurde, die Juden des Landes verwiesen wurden und Christoph Columbus sich auf eine Reise machte, die zur Entdeckung der Neuen Welt führte.

Grußadresse der „Türkisch Israelitischen Gemeinde Wien“ zur Hochzeit von Kronprinz Rudolf mit Prinzessin Stephanie von Belgien. Wien 1881, Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv.

Zwei osmanische Orden von Emmanuel Steiner für seine Verdienste um die südliche Orientbahn in Saloniki, Saloniki um 1900, Jüdisches Museum Wien.

Reise-Chanukkia, Balkan um 1700, Sammlung Max Berger.

Gedenktafel in der Zirkusgasse 22, für den “Türkischen Tempel”, die Synagoge der Sephardischen Gemeinde, zerstört in der “Reichskristallnacht” am 10. November 1938.

Türkischer Tempel, in der Zirkusgasse.22 in Wien Wien um 1910, Jüdisches Museum Wien.

Die Ausstellung „Die Türken in Wien. Geschichte einer jüdischen Gemeinde“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen eines dieser drei wesentlichen historischen Ereignisse, die das Ende des europäischen Mittelalters markieren, nämlich mit der Vertreibung der Juden aus Spanien, die in Nordafrika, in einigen italienischen Städten, vor allem aber im Osmanischen Reich Aufnahme fanden.

„Conscription deren allhier in Wien sich befindenden Türken und türkischen Unterthanen“ Wien 1766, Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv “Conscription of those Turks and Turkish subjects residing in Vienna?”, Vienna 1766, Austrian State Archives.

Zunächst nach Portugal Geflüchtete verließen die Iberische Halbinsel später in Richtung Holland und Norddeutschland. Im Zuge der osmanischen Eroberungen in Europa konnten die Juden spanischer Abstammung, die sogenannten Sefarden, kulturell und wirtschaftlich wichtige Gemeinden auf dem Balkan gründen. In Wien hatte es bereits zur Zeit des Ghettos im Unteren Werd zahlreiche Beziehungen zwischen den Wiener und den nun türkischen Juden gegeben.

Doch erst mit den Friedensverträgen zwischen den Habsburgern und dem Osmanischen Reich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts genossen die türkischen Juden Freizügigkeit im Habsburger Reich. Nach der Gründung der türkisch- jüdischen Gemeinde in Wien wurde ihr die Freiheit gottesdienstlicher Religionsausübung zugesichert. Sie hatte ihr Bethaus von Anfang an im 2. Wiener Gemeindebezirk. 1887 wurde schließlich der eindrucksvolle sefardisch-türkische Tempel im maurischen Stil in der Zirkusgasse 22 (1020 Wien) eingeweiht, in dessen Vorraum man mit den Porträts des Habsburger und des Osmanischen Regenten beiden Majestäten und beiden Heimaten loyale Reverenz erwies.

Ketubba in hebräisch-sefardischer Balkanhandschrift Rustschuk/Russe 1806, Jüdisches Museum Wien.

Im November 1938 wurde dieses Juwel Wiener Sakral- Architektur so wie fast alle anderen Synagogen und jüdischen Bethäuser der Stadt zerstört, die Träger dieser Gemeinde in der Folge zu einem großen Teil in den Tod deportiert. Die sefardischen Juden Wiens waren in vielfacher Weise Vermittler zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident, zwischen Asien und Europa. Diese Vermittlerrolle spielten sie einerseits als Händler und Kaufleute, die Wolle und Baumwolle, Seide und Tabak, Zucker und Gewürze in den Westen importierten. Andererseits vermittelten sie vor allem auf kulturellem Gebiet. Sie richteten in Konstantinopel die erste Druckerei überhaupt ein und in Wien eine sefardische Presse, die den gesamten Balkan mit Literatur in der ihnen spezifischen Sprache, dem aus Spanien mitgebrachten Ladino bediente.

Reise-Chanukkia, Balkan um 1700, Sammlung Max Berger.

Konzentriert sich die Ausstellung? Die Türken in Wien? auch auf die Wiener türkisch-jüdische Gemeinde, so weist sie doch auch auf weitere wichtige Aspekte der sefardischen Kultur hin: Beispielsweise darauf, dass wesentliche Impulse zur Weiterentwicklung der rabbinischen Tradition von sefardischen Juden ausgingen, dass sie die arabische Philosophie und Medizin für die westliche Welt erfahrbar machten, dass sie die reiche, mittelalterliche spanisch- jüdische Poesie weiter tradierten und übersetzten, und auch darauf, dass sie die Kabbala, die jüdische Mystik in die weite Welt der Diaspora exportierten.

Die Wunderkinder des Galimir-Quartetts, Fotografie um 1915.

Redaktion

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